Grüße aus Shanghai


Wie ihr wisst, habe ich dieses Jahr in China gearbeitet. Eine riesige Chance und ein Leben, das so komplett anders ist, als ich es gewohnt bin.
Ich bin jetzt 6 Monate in China gewesen und habe den PSV und das Laufen gehen an der frischen Luft ziemlich vermisst. Hier gibt es natürlich auch eine Laufgemeinde, außerdem kenne ich ein paar Triathleten, einer davon aus Sachsen. Viele Deutsche sind in den verstreuten kleinen Fußballteams in Shanghai aktiv- oft Zusammenschlüsse von Leuten aus dem Ausland, die hier ihre Fußballfamilie im fernen China finden. Aber das Laufen zwischen Hochhäusern macht mir einfach keinen Spaß. Und das, obwohl die Luft hier zwar nicht Waldqualität hat, aber doch recht gut ist. (Kein Vergleich zu dem Smog in Peking oder anderen chinesischen Städten wie Chengdu oder Xi’an.) Heute, am 05/09/2021 ist der Shanghai Air Quality Index laut der App 78, also moderat. Zittau hat im Vergleich einen Index von 66, auch moderat. Gar kein großer Unterschied also. Es gibt eine große deutsche Community (ca. 5000 Deutsche in den Provinzen Shanghai, Zhejiang, Anhui und Jiangsu zusammen).

Hier in Shanghai dürfen mittlerweile nur noch elektrische Roller fahren, die ganze Stadt ist voll mit Mietfahrrädern. Die nutze ich am liebsten- für 20 Cent komme ich in 30 min eigentlich überall hin, wo ich hinmuss. Das hat sicherlich zur Verbesserung der Luftqualität beigetragen, und auch einen ganz erheblichen Teil der Lärmbelastung.

Ob Shanghai deswegen umwelttechnisch Vorzeigestadt bezweifle ich – die Straßen, hier im Jing’an Distrikt werden jede Nacht von LKWs mit Wassertanks hochdruckgereinigt. Es ist blitzblank. Vielleicht machen sie das auch zum Schutz der Straßen wegen der Hitze hier. Es ist auf jeden Fall ein riesiger Aufwand. Taxis und Didis (das chinesische Uber) gibt es zuhauf und das billig. Wir sind damals in Ermangelung einer passenden Zug Route mit dem Taxi von der Chinesischen Mauer nach Peking gefahren- umgerechnet 30 Euro für 3 h.

In Shanghai selbst brauche ich kein Auto. Die Stadt hat ein exzellentes Verkehrssystem, die U-Bahn kommt fast auf die Sekunde genau, aller 3-4 Minuten. Das Leben hier ist bequem. Die Leute bezahlen mit dem Smartphone, Bargeld ist eigentlich fast schon ein Fremdwort für die jungen Shanghaines:innen. Bald kommt der E-CYN - die komplett elektronische Währung.

Die Covid-Situation ist hier in Shanghai eigentlich fast nicht bemerkbar: klar in den Malls müssen inzwischen wieder Masken getragen werden- diese Regel hat sich nach 4 Fällen am Pudonger Flughafen wieder verschärft. Ansonsten geht alles, es ist alles offen. Die chinesische Regierung hatte Ende Juni 40 % ihrer Bevölkerung komplett mit den chinesischen Impfstoffen durchgeimpft, und es gibt großen Druck, dass bis 2022 eine Herdenimmunität erreicht wird. Die Wirksamkeit dieses Impfstoffes wird von den einen angezweifelt, andere sagen er biete einen Mindestschutz. Fakt ist, dass einige Länder mittlerweile aufgehört haben, diesen „herkömmlichen“ Stoff zu verimpfen. Olympia steht an. Bis dahin gilt die 0-Fall Politik. Steigen die Zahlen, werden die Regeln scharf angezogen. Einreisende erwartet eine 2-4 wöchige Quarantänepflicht, mitunter in fensterlosen Räumen ohne viel Komfort. Ich muss sagen, dass ich diese Zeit sehr gut weggesteckt habe und auch eine sehr gute Unterkunft hatte. Für Familien mit Babys oder Kleinkindern stellt eine solche Zeit aber schon eine ganz andere Belastung dar.
Was ist China für mich? Fühle ich mich hier zu Hause? Nach 6 Monaten habe ich ein oberflächliches Verständnis von China erlangt. Eins ist klar: das Land ist riesig, die Bevölkerung- zumeist Han-chinesisch, ist unheimlich divers. Allein schon wegen den unterschiedlichen Dialekten und Sprachen. Da gibt es Uigurisch, Tibetisch, Mongolisch, Kantonesisch, Shanghainesisch, ….. Die Regierung fördert das Mandarin in den Schulen sehr- das „Standard-Chinesisch, wie es in Peking gesprochen wird. Bei meinen Reisen ins Landesinnere bin ich vielen älteren Menschen begegnet, die das Mandarin nicht verstanden haben. Stellt euch beispielsweise vor, Ihr fahrt nach Frankfurt und versteht nichts mehr.
Verbindendes Element ist die Jahrtausende alte Schrift. Die ist überall gleich und auch gleich schwer zu lernen. Selbst meine Chinesischlehrerin kann einige Zeichen nicht schreiben- obwohl sie Mandarin studiert hat. Das ist schon sehr erstaunlich. Überhaupt können einige junge Leute ihre eigene Schrift gar nicht mehr schreiben, weil sie nur noch Computer benutzen. Dort geben sie mittels lateinischen Buchstaben das Wort ein und wählen dann das entsprechende Schriftzeichen aus. Die meisten der jüngeren Generation können also unser Alphabet schreiben- um die Lautschrift des chinesischen „Pinyin“ am Computer schreiben zu können. Die Älteren, Smartphone- und „Pinyin“-Unerfahrenen malen die Zeichen mit dem Finger auf ihr Smartphone- Zeichen für Zeichen. Die Kinder können hingegen beides: Bildzeichen lesen und lateinische Schriftzeichen lesen. Mit zunehmendem Alter nimmt die Fähigkeit, zu lernen Bildzeichen erkennen und unterscheiden zu können ab (kein Wunder).
Das Mandarin soll jetzt in der Schule gestärkt werden, vielen Englischlehrer:innen wurde zu Beginn September gekündigt- sie sind zurück in ihre Heimatländer geflogen. Zudem soll der Gedanke Xi Jinpings jetzt auch in die naturwissenschaftlichen Fächer integriert werden. Außerdem wurde Nachhilfeunterricht, der länger als bis 20:30 nachts geht, verboten. Es ist hier nämlich normal, dass Kinder den Schulstoff eines Schuljahres lernen, bevor sie ihn in der Schule behandeln. Es herrscht ein riesiger Konkurrenzkampf um die besten Unis in China. Um diesen Druck zu mindern, hat die Regierung die neue Regel erlassen. Allerdings werden jetzt Kurse für Eltern angeboten, die anstelle ihrer Kinder Nachhilfeunterricht nehmen, um diesen Stoff dann an ihre eigenen Kinder weiterzugeben. Das Problem hat sich also verlagert. (Ich persönlich finde es toll, dass den Kindern so viel geboten wird- aber natürlich sollte die intrinsische Motivation des Kindes auch beachtet und nicht, wie bei einigen überehrgeizigen Eltern, einfach irgendwelchen überzogenen Erwartungen hinterhergehechelt und dem Kind jegliche Freude genommen werden.)
Das ist Shanghai- auf dem Land haben viele Leute gar nicht die Möglichkeit so viel Geld in die Ausbildung ihrer Kinder zu stecken. Die kostet nämlich einen Haufen Geld und Zeit- das  wisst Ihr  selbst. Kinderhaben kostet Geld- deswegen fruchtet die 3 -Kind-Politik auch nicht. Es ist einfach zu teuer, sagen die meisten, mit denen ich gesprochen habe. Einige Studien zeigen an, dass mit steigendem Bildungsniveau die Zahl der Kinder meist zurückgeht. Warum und wieso?  Ich bin keine Expertin. Auf jeden Fall ist das Lebensniveau in Shanghai hoch. Shanghai ist die Kirsche auf der Torte. Wer die Stadt sieht, käme im Leben nicht auf die Idee, China als Entwicklungsland zu bezeichnen- diesen Status hat es nämlich nach Kriterien der UN. Ein Grund dafür:  Die Unterschiede Land-Stadt sind riesig. Es kommt sehr darauf an, wo du geboren bist. In der Stadt hast du Zugang zu guter Bildung und einem Sozialsystem. Auf dem Land nicht unbedingt. Wenn Ihr mehr dazu und den Kriterien der UN zu diesem Thema erfahren möchtet- informiert Euch!
Zum Schluss meines langen Textes noch 5 Dinge, die ich hier sehr liebgewonnen habe:

  • Das Essen – riesige Auswahl an unterschiedlichsten Küchen, viel Gemüse und Reis, allerdings oft sehr ölig
  • Die Menschen
  • Meine Kolleg:innen
  • Badminton spielen (neben Tischtennis Nationalsport)
  • Alte Menschen, die zusammen im Park Sport machen, tanzen oder Karten spielen.

Ein Land, das omnipräsent in unseren Medien ist. Die Menschen streben nach einem guten Leben - so wie wir. So wie überall. Unterschied: Viele, vor allem Ältere, haben ein anderes Verständnis vom Leben als westlich geprägte Leute. (Gängige Erklärungen: Hier stehe eher das Wohl der großen Gruppe als das des Individuums im Vordergrund, die Familie sei alles- die Einzelperson habe ihre Interessen unterzuordnen, einen Rechtsstaat mit einer Vielzahl an festen Gesetzen und Regeln gibt es nicht – hier sind viele Dinge überhaupt nicht geregelt oder so undefiniert, dass sehr viel Interpretationsspielraum bleibt). Bei den Jüngeren ändert sich dieses Bild schon etwas- viele waren schonmal im Ausland, denken anders, wollen ein unabhängigeres Leben von der Familie. Die meisten stehen aber hinter der Partei oder kritisieren zumindest nichts. Demonstrationen habe ich hier noch nie gesehen.
Zu Hause fühle ich mich in Shanghai mittlerweile schon – wegen der Leute, die ich hier kennen und wertzuschätzen gelernt habe. Die Kultur selbst ist in weiten Teilen immer noch ein Rätsel für mich. Deswegen: lest diesen Beitrag als das was er ist: ein absolut subjektiver und unvollständiger Eindruck von China.
Ich freue mich euch alle bald wiederzusehen.
Eure Lotti

 

PSV Zittau e.V. Abteilung Ski